Wieso digitale Schulbücher?
Eine Idee von Bildung lesen

Warum um alles ­in der Welt…

… sollen wir uns im Matheunterricht eigentlich mit Analysis beschäftigen? Oder mit höherer Mathematik im Allgemeinen?

Solche Fragen können analoge Schulbücher in der Regel nicht beantworten. Es gelingt ihnen nicht, den Schülern die Bedeutsamkeit eines Lehrinhaltes aufzuzeigen. Warum ein bestimmtes Thema also besonders schön, faszinierend oder nützlich ist – kurz: warum es wert ist, behandelt zu werden, steht nie zur Debatte. Doch ohne dieses Verständnis gibt es keine echten ›Inhalte‹ sondern nur ›Stoff‹. Und dieser wird nicht verstanden sonder ›gepaukt‹ – Bulimielernen statt Verstehen.

Diplomarbeit lesen
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Digitale Schulbücher könnten das ändern. Und zwar so:

Mehr Platz!

So simpel es auch klingen mag: Das digitale Schulbuch bietet erst einmal Platz. Nicht etwa, um einfach noch mehr ›Stoff‹ und Übungsaufgaben unterzubringen, sondern um Bedeutsamkeit zu vermitteln. Warum lernen wir dieses Konzept, diese Definition oder Notation? Warum jetzt und warum ist das wichtig?

Mehr Anschaulichkeit

In Situationen, in denen Bilder mehr sagen als tausend Worte, hilft der Detailmodus. Er erlaubt es den Schülern, erklärende Animationen zu Textabschnitten in einer für sie verständlichen Geschwindigkeit abzuspielen, ohne sie dabei zu passiven Zuschauern zu machen. So lassen sich die Gründe für die Faszination eines Inhalts verständlich kommunizieren.

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Flexibilität

Im Arbeitsblattmodus werden alle Absätze eines Kapitels in einzelne Bausteine zerteilt, so dass sie sich auf einem Arbeitsblatt frei miteinander kombi­nieren und editieren lassen, um sie anschließend zu teilen.

Verkürzen und Erweitern
Mit Hilfe des Arbeitsblattmodus lassen sich die ausführlichen Kapitel für den Unterricht einkürzen, aber auch mit eigenem Material erweitern. So können Lehrkräfte ganz eigene Gründe für die Bedeutsamkeit eines Inhalts einbringen oder den Fokus auf bestimmte Aspekte legen.
Vorschläge
Um Lehrer zu entlasten, bietet das digitale Schulbuch Vorlagen an, die bereits ein paar Vorschläge liefern, wie sich ein Thema einkürzen oder der Fokus auf einen bestimmten Aspekt legen lässt.
Teilen
Anschließend können die Arbeitsblätter mit Schülern und Kollegen geteilt werden. Dabei ersetzen sie die ursprünglichen Kapitel aber nie, sondern sind als separate Dokumente verfügbar. Auf diese Weise bleiben den Schülern die längeren, verständlicheren ­Kapitel auch außerhalb des Unterrichts erhalten.

Kollaboration

Das Konzept der Arbeitsblätter ließe sich in einem nächsten oder übernächsten Schritt um eine Online-Plattform erweitern. Diese könnte es erlauben, die selbst zusammengestellten und erweiterten Kapitel mit anderen Lehrkräften zu teilen und als Vorlage für eigene Arbeitsblätter zu benutzen, die wiederum verändert und geteilt werden könnten (ähnlich dem Versionierungsdienst Github).

Das eine Schulbuch würde es dementsprechend gar nicht mehr geben. An seine Stelle träte ein Geflecht von unterschiedlichen Versionen, die in Kollaboration und Konkurrenz erstellt werden und Iteration für Iteration sogar zu einer Verlagerung der Inhalte und Argumente führen könnte. Lehrer würden somit zu Schulbuchautoren.

Dementsprechend müsste aber auch ein Bildungskanon als etwas variables gedacht werden, das offen für Gegenvorschläge ist und sich nicht zwangsläufig als ein festgefügtes Set an Wissen und Kompetenzen versteht.
Um nicht in Beliebigkeit auszuarten, müsste auf der Plattform ein beständiger Dialog herrschen, dessen Kern das Motto bildet: »Nichts darf ohne Begründung in den Lehrplan und nichts darf gelehrt werden, nur weil es im Lehrplan steht!« In der Öffnung des Schulbuchs und des Bildungsdiskurses für einen solchen beständigen Dialog läge die eigentliche revolutionäre Kraft.

Komplexität

Schaubilder geben den Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit, ganz eigene ­Argumente für (oder womöglich auch gegen) die Bedeutsamkeit eines Inhalts nachvollziehbar zu formulieren.

Stich­punkt­zettel
Jede Textmarkierung kann als Stichpunkt auf der Arbeitsfläche abgelegt und mit anderen Stichpunkten verknüpft werden. Ein Klick auf den Stichpunkt führt zurück zur eigentlichen Textstelle. Ein Stichpunktzettel auf Steroiden!
Komplexität
Stichpunkte können zu Gruppen zusammengefasst und ineinander verschachtelt werden. Selbst komplexe Gedankengebäude lassen sich auf diese Weise übersichtlich als Schaubild strukturieren.
Eigene
Gedanken-
gebäude
Schaubilder können mehrere Texte miteinander verbinden oder auch komplett losgelöst davon erstellt werden. Das erlaubt es, mehrere Gedankengebäude miteinander zu verbinden und sie um eigene Ideen zu erweitern.

Fragen oder
Anregungen?

FAQ

(Häufig gestellte Fragen)

Ja, in einer idealen Welt würde es auf diese Weise funktionieren. Tatsächlich aber fragt sich, ob auch wirklich jede Lehrkraft immer in der Lage ist, die Fasziniation und Relevanz eines Unterrichtinhalts nachvollziehbar darzulegen.

Beim Vermitteln dieser Bedeutsamkeit haben analoge Schulbücher aber mehrere Probleme:

a) Um die Bedeutsamkeit eines Inhalts (also seine Nützlichkeit, Schönheit oder Faszination) darzulegen, braucht man einiges an Platz. Natürlich kann so ein Schulbuch auch einfach behaupten, dass sich z.B. hinter dem mathematischen Konzept der Ableitungen eine der größten geistigen Leistungen der Menschheitsgeschichte verbirgt, aber es tatsächlich zu zeigen – zumal in verständlicher Sprache – nimmt deutlich mehr Platz ein als die übliche halbe bis ganze Seite eines analogen Schulbuchs. Wenn wir dann noch Übungsaufgaben zur Seitenzahl hinzurechnen (die einen Großteil aktueller Mathebücher ausmachen), würden wir bei regelrechte Folianten von Schulbüchern landen.

b) Aber nehmen wir mal an, dass uns dafür eine analoge Lösung einfallen würde (z.B. für jedes Thema ein eigenes und somit dünneres Buch), so hätten wir noch ein weiteres Problem: Selbst wenn analoge Schulbücher es schaffen die Bedeutsamkeit eines Inhalts aufzuzeigen, so fehlt es ihnen an Feedbackmöglichkeiten. Denn mglw. sind die Gründe, die ein Schulbuch für die Bedeutsamkeit eines Themas anführt gar nicht die besten oder verständlichsten Gründe. Der Mathematiker Paul Lockhart hat bspw. ganz wunderbare Bücher geschrieben (z.B. »Measurement«), in denen er es schafft, die schlichte Eleganz mathematischer Probleme und die recht genialen Lösungen darzulegen, die dafür im Laufe der Geschichte ersonnen wurden (d.i. Bedeutsamkeit). Lockhart ist selbst Highschool-Lehrer und ein digitales Schulbuch würde ihm (und vielen anderen wie ihm) die Möglichkeit geben, ein bestehendes Schulbuch zu erweitern und umzuschreiben, um diese Version dann wieder mit anderen zu teilen. Also ein bisschen wie Github für Schulbücher. Jede Lehrkraft hätte dann also eine Platform, sich mit Kollegen auszutauschen, seine Argumente vorzubringen, und daraus in Kollaboration mit (oder Konkurzenz zu) anderen Kollegen eine modifizierte Variante zu veröffentlichen, die andere Lehrer benutzen aber auch aufgreifen und verändern können.
Ein digitales Schulbuch böte also die Möglichkeit, Lehrkräfte in einen beständigen Dialog über die Bedeutsamkeit von Inhalten treten zu lassen und letztendlich sogar den Bildungsdiskurs selbst für einen solchen Dialog zu öffnen.

Das stimmt. Irgendwann hat man vermutlich alle Argumente zusammengetragen, die für die Bedeutsamkeit eines bestimmten Inhalts sprechen. Doch auf dem Weg dorthin dürfte auch das genaue Gegenteil passieren: Man findet einige – vlt. sogar eine Menge – Gründe, die *gegen* die Bedeutsamkeit eines bestimmten Inhalts sprechen.
Mit anderen Worten könnte sich durch eine solche Bedeutsamkeits-Diskussion auf einem „Github für Schulbücher“ herausstellen, dass die besten Gründe, die wir für einen bestimmten Inhalt finden konnten eigentlich gar keine besonders guten Gründe darstellen und der Inhalt abgeschafft, verändert oder ersetzt gehört.
Ein Beispiel: Nehmen wir rein hypothetisch(!) an, dass der beste Grund, der uns einfällt, warum Schüler sich mit Vektorrechnung beschäftigen sollten, der wäre, dass es eine gute Vorbereitung auf mathelastige Studiengänge darstellt. Dann fragt sich natürlich, worin die Relevanz für all diejenigen läge, die nichts in der Richtung studieren wollen. So könnte sich dann recht schnell die Frage aufdrängen, ob es denn nicht Inhalte gibt, für die viel bessere Argumente sprechen – oder, ob dann nicht sogar die entsprechende Organisationsform geändert werden muss (z.B. Vektorrechnung nur noch in Leistungskursen).
Eine lebendige und leicht zugängliche Diskussion um die Bedeutung von Inhalten könnte also auf lange Sicht und Stück für Stück auch zum Wechsel der Inhalte führen. Gleichzeitig wäre damit dann auch ein Modus etabliert, in dem Sachen eben nicht mehr aus purer Überlieferung heraus unterrichtet werden („Das haben wir schon immer unterrichtet!“, „Das steht halt im Lehrplan!“, „Das gehört nun mal zu einer profunden mathematischen Ausbildung!“), sondern deswegen, weil sich extrem gute Gründe für diesen oder jenen Inhalt gefunden haben und sich diese Begründung auch immer wieder anhand von leicht abgewandelten Versionen des Schulbuchs zeigen ließen.
Jeder bestehende Inhalt könnte somit immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden – ein immer währender lebendiger Austausch, statt einem toten unhinterfragten Kanon (der letztendlich wieder zur Bedeutungslosigkeit führt).
Einem solchen Modus, in dem immer und immer wieder gefragt wird „Warum sollten die Schüler diesen Inhalt kennen lernen und keinen anderen und wie können wir das konkret gestalten?“, läge auch ein ganz bestimmtes Menschenbild zugrunde. Nämlich eines, in dem Schüler nicht als Gefäße betrachtet werden, die es zu füllen gibt („Das steht halt so im Lehrplan —> Lern gefälligst!“), sondern eines, das sie als prinzipiell vernunftbegabte Wesen denkt, die wie alle anderen einen Sinn in ihrem Tun und Handeln sehen wollen, sollen und dürfen. Mit einem analogen Schulbuch, dass von solchen Feedback-, Kollaborations- und Korrekturmöglichkeiten nur träumen kann, ist das nicht zu machen. Papier ist da einfach zu geduldig und unflexibel.

Ja, das kann natürlich passieren. Zwei Dinge wären trotzdem anders. Zum einen bleiben den Schülern die längeren Kapitel ja trotzdem erhalten und könnten dazu genutzt werden, um Unterrichtsversäumnisse durch ausgefallene Stunden, Krankheit und ja, auch schlechte Lehrer und die eigene Unaufmerksamkeit auszugleichen. Auf das Fach Mathematik entfallen 57 Prozent aller Nachhilfestunden und es fragt sich, ob auf diese Weise nicht zumindest einige davon überflüssig werden könnten. Noch viel wichtiger aber: Es ist denkbar, dass die ausführlich begründenden Kapitel von den Lehrenden aufgegriffen werden und zu einem (langsamen) Umdenken führen. Allein, dass überhaupt ein Angebot besteht, das sich nicht auf die Vermittlung des ›Was?‹ beschränkt, sondern auch die Erörterung des ›Warum?‹ in Angriff nimmt, schafft möglicherweise eine Grundlage für Überlegungen zur Umstrukturierung der Unterrichtsorganisation (ob dies nun das ›Flipped Classroom‹-Modell ist oder nicht sei dahingestellt).

Korrekt. Genau deswegen gibt es im Arbeitsblattmodus auch den Abschnitt ›Vorschläge‹, der bereits mehrere eingekürzte Versionen eines Kapitels enthält, die den Fokus jeweils auf andere Aspekte legen. Wenn man so will, enthält das digitale Schulbuch also bereits mehrere unterichtsfreundliche Versionen in einem. Diese können von den Lehrern natürlich einfach übernommen werden oder aber als Blaupause für eigene Arbeitsblätter dienen. Wird das Schulbuch um eine Onlineplattform zum Austausch von Inhalten erweitert, würde der Arbeitsaufwand für den Einzelnen natürlich noch weiter sinken.

Zweifelsohne ist es wichtig, etwas zu können und natürlich werden in der Schule auch immer Kompetenzen erworben. Allerdings dürfen Kompetenzen nie ohne Inhalte gedacht werden! Zugespitzt formuliert: Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob wir die Kompetenz ›rethorische Fähigkeiten‹ anhand von »I Have a Dream« oder der »Sport­palastrede« trainieren.

Sollte ein Inhalt tatsächlich einzig und allein als Voraussetzung für einen anderen bedeutsamen Inhalt taugen, so sollte er in dessen Kontext unterrichtet werden! Beispiel: Um Newtons und Leibniz‘ geniale Lösung für die momentane Änderungsrate einer Kurve nachvollziehen zu können, bedarf es unter anderem der Kenntnis der Binomischen Formeln. Nehmen wir einmal an, dass die Bedeutsamkeit der Binomischen Formeln ausschließlich in ihrer Nützlichkeit für das Thema der Kurvendiskussion läge, so gäbe es keinen Grund sie schon Jahre vorher außerhalb dieses Kontextes zu unterrichten. Erst wenn diese Formeln dabei helfen, ein relevantes Problem zu lösen (oder ihnen selbst ein relevantes Problem innewohnt), können sie sinnvoll unterrichtet werden – denn erst dann sind sie bedeutsam. Kontext­losen ›pauken‹ von Grundlagen, ohne zu wissen warum und wofür kann nur zu Bulimielernen führen (oder setzt obrigkeitshörige Roboterschüler voraus, die sich niemand ernsthaft wünschen kann).